Manchmal sind es die ungeplanten Dinge auf einer Reise, die einem besonders in Erinnerung bleiben.

Auf unserer Fahrt von Kyōto nach Kanazawa fuhr unser Zug durch den kleinen Ort Kaga-Onsen. Auf den ersten Blick war es ein normales japanisches Städtchen, wäre da nicht die große goldene Kannon-Statue gewesen, die auf einem Hügel stand und in der Sonne glänzte.

Wir wurden neugierig. Im Hotel in Kanazawa versuchten wir, mehr über diese Statue zu erfahren, aber in unseren Reiseführern wurde der Ort nicht erwähnt. Was wir fanden, war der Eintrag eines Touristen in einem Internetforum, in dem stand, dass er dort nur eine halb verfallene Tempelanlage vorfand.

Das sind eigentlich nicht sehr verlockende Aussichten, für Fotografen haben verfallene Gebäude jedoch ihren besonderen Reiz. Wir suchten die Statue auf Google Maps und programmierten die Koordinaten in unser GPS. Dann machten wir uns auf den Weg nach Kaga-Onsen.

Onsen sind heiße vulkanische Mineralwasserquellen. Sie sind fast überall in Japan zu finden. Angesiedelte Hotels nutzen diese Quellen und bieten ihren Gästen einen Wellnessaufenthalt mit Bädern, gutem Essen und gemütlichen Zimmern an. Zu den Zeiten des japanischen Wirtschaftswunders gab es viele dieser Orte, wo man seinen spärlichen Urlaub verbringen und sich erholen konnte. Als die Wirtschaftskrise kam, fehlte den Menschen das Geld für teure Urlaube, und die Orte fielen der Vergessenheit zum Opfer.

So auch Kaga-Onsen. 1987 wurde hier "Utopia Kaga no Sato" eröffnet, eine Freizeitanlage mit Onsen-Hotel, einem Vergnügungspark und eben diesem Tempel. Heute ist davon nicht mehr viel zu erkennen. Wegweiser waren keine mehr zu finden, also suchten wir uns selbst einen Weg. Er führte uns in einem Bogen um die Statue herum, entlang dem ehemaligen Hotel und einem Schrottplatz, wo einst der Vergnügungspark war. Schließlich gelangten wir über die Rückseite in den Tempel.

In der Mitte der Anlage stand sie dann, Kaga Kannon, die 73 Meter hohe Kannon-Bodhisattva mit einem Kind auf ihrem Arm. Darum herum befanden sich mehrere kleine Gebäude. Ein überdachter Rundweg führte um den Sockel der Statue zu einer Halle, die auf den ersten Blick wie eine Scheune aussah. Die Anlage hatte zweifellos schon bessere Zeiten erlebt. Hier und da blätterte die Farbe ab, und tatsächlich hatten einige Dächer große Löcher, während andere Gebäude intakt zu sein schienen. Es war deutlich zu sehen, dass jemand sich hier alle Mühe gab, die Anlage mit knappen finanziellen Mitteln bestmöglich instandzuhalten.

Zu unserer Überraschung waren noch andere Leute dort. Gärtner schnitten eine Hecke. Ein anderes Touristenpärchen schlenderte die Gebäude entlang. Die Verwalter des Tempels winkten uns zu sich. Obwohl wir uns unabsichtlich durch die Hintertür hinein geschlichen hatten, wurden wir freundlich empfangen.

Selbstverständlich zahlten wir das Eintrittsgeld von 500¥ pro Person, das am regulären Eingang fällig geworden wäre. Als Gegenleistung erhielten wir eine ausgiebige Führung. Unsere Führerin sprach leider nur Japanisch, aber wir behalfen uns mit dem Google-Übersetzer und meinen rudimentären Japanischkenntnissen. Wir gingen in das Gebäude, das ich eben noch für eine Scheune hielt. In der Halle war mit sehr viel Liebe zum Detail der Lebensweg Buddhas in großen Diaramen dargestellt, davor auf einer Kiesfläche eine Modelllandschaft mit kleinen Gebäuden und Figuren.

Dieser Anblick war schon atemberaubend, aber nichts gegen das, was uns in der anderen Hälfte des Gebäudes erwartete. Dort standen auf einer Tribüne 1188 goldene, mannshohe Buddhafiguren. Etwas Ähnliches sahen wir bereits in Kyōto im Sanjūsangen-dō, doch obwohl jener aus historischer Sicht zweifellos bedeutender ist, war dieser hier durch den Goldglanz und den Spiegeln an der Wand viel prachtvoller.

In einem anderen Nebengebäude hing eine 10 Meter hohe und 5 Meter breite Glocke, auf der Figuren von Himmelstieren zu sehen waren. Selbstverständlich war sie ebenfalls vergoldet. Ebenso die 17 Meter hohe, 5-stöckige Pagode in einem weiteren Gebäude. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, was für Perlen in diesem etwas heruntergekommenen Ort versteckt waren. Es war schade, dass das Fotografieren in den Gebäuden nicht gestattet war.

Völlig überwältigt verließen wir die Tempelanlage wieder, diesmal durch den Haupteingang. Und so wurde ein ungeplanter Abstecher in ein Nachbarörtchen zu einem ganz besonderen Erlebnis. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Gastgeber, die sich sehr über Besucher aus dem fernen Deutschland gefreut haben.

Der Haupteingang ist nur über einen etwas versteckten, kurzen Trampelpfad zu erreichen. Es lohnt sich aber, bei Kaga no Sato vorbeizuschauen, wenn man gerade in der Gegend ist und etwas Zeit erübrigen kann.